"Ein Rundgang um und in der alten Handschuhsheimer Kirche St. Vitus"

Es ist eine Freude, in Büchern aus Archiven und Bibliotheken über die alte, ehrwürdige Vituskirche in Handschuhsheim und über das Leben der Gemeinde von St. Vitus in frühen Zeiten zu lesen. Gerne will ich deshalb versuchen, den Alteingesessenen Vergessenes in Erinnerung zu rufen und ihnen vielleicht noch nicht bekannte Details zu vermitteln, den noch nicht so recht Heimisch-Gewordenen durch die Beschreibung der stimmungsvollen alten Kirche ihre Heimatvertrauter werden zu lassen, und die Neuzugezogenen für ihre neue Umgebung und deren wertvollstes Kleinod zu interessieren.
Machen Sie sich mit mir auf den Weg, die Besonderheiten der alten Handschuhsheimer Kirche St. Vitus zu ergründen.
Haben Sie schon einmal den Längsriß im Turm bemerkt, haben Sie schon die Heilige der Zahnärzte mit Zahn und Beißzange entdeckt, und haben Sie sich schon an der vielfältigen Darstellung des "Hundes zwischen den Flügeln" auf den Grabdenkmälern der Edlen von Handschuhsheim erfreut?
Gehen Sie mit mir vom Altersheim St. Michael kommend auf die offene Stelle in der Umgrenzungsmauer des Kirchhofes zu! Wir sehen den mächtigen, quadratischen, mit nur zwei Gesimsen gegliederten Turm, an den das große, steile, bis fast zum Turmhelm hochgezogene Dach mit seinen hübschen kleinen gelblichen Ziegeln anstößt, darunter die mit dem Handschuhsheimer Wappen gezierte barocke Sonnenuhr, rechts daneben eine Front kleiner und kleinster unregelmäßiger Fenster, unter diesen zum Teil stark verwitterte Grabplatten, zwischen denen zwei bescheidene Türen in unterschiedlicher Höhe ins Innere führen.
Zwischen hohen verschiedenartigen Bäumen des ehemaligen Friedhofes nähern wir uns dem Gotteshaus, einem recht eigenwilligen, aber doch liebenswerten Bau, der noch viel von seinem früheren, mittelalterlichen Aussehen bewahrt hat.
Wir gehen im Kirchhof nach rechts, nach Osten, und bleiben vordem schönsten, dem wertvollsten Teil der Vituskirche stehen, dem alten Chor.
Dieser vieleckige Chor mit seinen in drei Stufen abgesetzten Strebepfeilern ist eindeutig aus gotischer Zeit; er gefällt durch seine elegant wirkenden Maße, die wie bei allen gotischen Kirchen den Blick in die Höhe führen. Über das hohe Dach lassen wir unsere Augen hinüber zum Turm schweifen. Dieser wuchtige Turm ist aus ganz anderer Zeit, 300 bis 500 Jahre früher gebaut, in romanischer Zeit. Das östliche Turmfenster ist durch eine Mittelsäule zweigeteilt, auf die halbrunde romanische Bögen aufgesetzt sind. Darunter, halb vom hohen Dach verdeckt, ist noch deutlich ein ehemals gleichartiges Turmfenster zu erkennen, das später vermauert wurde. Die beiden südlichen übereinanderliegenden Fenster sind oben etwas spitz, ein Zeichen für die gotische Bauzeit. Einen seltsame Feststellung: zwei verschiedene Fensterarten in gleicher Höhe eines Kirchturmes!
Wir stehen immer noch vor dem alten Chor und blicken nun unten auf die Ostwand des seitlichen Anbaues. Hier führt eine schmale Treppe zwischen Gebüsch nach unten zu einem tief liegenden Gewölbe, einem früheren Beinhaus. Der Mesner zeigt Ihnen gerne einmal die jahrhunderte alten Steinsärge dort unten, in denen unsere Vorfahren nach dem Tod gelegen haben. Der Raum darüber, der erst später durch Stufen und eine Türe von außen zugänglich gemacht wurde, war zuerst eine an den Chor angebaute Nikolauskapelle. Über dem Türbogen zum Beinhaus können wir noch deutlich einen schmalen romanisch gemauerten Vorsprung an der Wand erkennen, der innen eine Nische für den Altar der Kapelle bildete.

Nun sehen wir an der Südwand der Kirche entlang. Über zwei sehr kleinen romanischen Rundbogenfenstern blicken uns zwei Fratzengesichter grimmig an, die schon fast 1000 Jahre auf das Treiben der Hendsemer skeptisch herabschauen. Zwischen den kleinen romanischen Fenstern ist in gotischer Zeit ein größeres mit Maßwerk versehenes eingesetzt worden.
Wir gehen nun an der Außenwand entlang nach Westen und erkennen, daß das mittlere der drei folgenden gotischen Fenster in späterer Zeit durch die darunter liegende Türe verkürzt wurde. Rechts und links der Türe sind außerdem noch zugemauerte, kleine rechteckige Fenster aus romanischer Zeit zu erkennen.
Wir können nicht vor jeder Grabplatte verweilen, freuen uns aber doch, in der ersten von rechts die des letzten Ritters von Handschuhsheim zu erkennen, und wir schmunzeln über die etwas naive Darstellung des 1682 beigesetzten Pfarrers Johann Heinrich Schütz (Schütz ist nicht mehr zu lesen) in langem Meßgewand, den Kelch in der Hand haltend, mit lustigen Augen zwischen wallenden Haarlocken und geziert mit einem besonders ausgeprägten Schnurrbart.
Vor dem wuchtigen Turm bleiben wir stehen, schauen hinauf und erkennen deutlich eine Fuge von oben bis unten; rechts und links davon unterscheidet sich das Mauerwerk. Der westliche Teil des Turmes war eingestürzt und wurde in gotischer Zeit wieder aufgebaut; deshalb sind die Fenster auf der Süd- und Westseite anders gestaltet als auf der Ostseite, die in ihrer romanischen Bauart erhalten geblieben ist. Beim Wiederaufbau des Turmes wurden auch Steine aus dem eingestürzten Teil verwendet; denn sehr deutlich sind an der Südwestecke des Turmes verschiedenartige Quader zu erkennen.
Sehen Sie die Unterschiede? Einige haben ein eingekerbtes Kreuz, das sind romanische Steine, einige haben Zangenlöcher, das sind Steine, die in gotischer Zeit gehauen wurden. Sofern sie gute Augen haben, können Sie in halber Höhe auch noch einen Eckstein mit einer Fratze erkennen. Der Turm wirkte früher noch massiger als heute, da die Türe in den Turm erst 1933 eingesetzt wurde.
Nun werfen wir noch einen Blick von der Steubenstraße auf die Westseite der Kirche: eine verwirrende Ansicht, ungleichmäßige Dachführung rechts und links vom Turm, die Wand links wie eine einseitige Ummantelung des Turmes vorgezogen, dazu noch ein offensichtlich neuerer Anbau nach Norden. Wie kam es dazu?
Westlich der Kirche bestand 1470- 1580 ein Augustinerinnenkloster. Für die Nonnen dieses Klosters wurde eine eigene Empore in der Kirche geschaffen, der sog. Nonnenchor. Da die Kirche sehr klein war, hat man hierfür das nördliche Seitenschiff am Turm entlang nach Westen verlängert. Zu ebener Erde in der Außenwand dieses Anbaues aus gotischer Zeit ist noch eine ehemalige Eingangstüre zu erkennen, und auch in der Höhe der Nonnenempore war eine Türe.
Die Konsolen unter dem Türrahmen lassen auf einen vorgebauten Balkon schließen, von dem aus der Priester bei großen Festen zu den Gläubigen im Freien predigen konnte.

Der nördliche neueste Anbau entstand erst 1933, um die viel zu kleine Kirche den pastoralen Erfordernissen anzupassen. Nun interessiert es Sie sicher, ob auch im Innern der Kirche noch Zeugnisse aus den verschiedenen Bauperioden, die wir feststellen konnten, erhalten sind.

Auf unserem Weg von der Steubenstraße zurück bleibt unser Blick aber zunächst noch an einem auffallenden Grabdenkmal, einem großen viereckigen Block aus rotem Sandstein südlich hinter der Kirchhofmauer hängen. Dieses Grabmal ist zu Ehren der Familie des letzten Kurpfälzer Waisenhausschaffners von Handschuhsheim, Kar! Franz Joseph Rottmann, errichtet, der 1783 das Schlößchen erworben hatte, wo sein Enkel Carl, der berühmte Landschaftsmaler, 1798 geboren wurde.(siehe auch "Kirchhof")
Durch die südliche Türe treten wir nun in das Gotteshaus ein, bleiben gleich an der Türe stehen und lassen zunächst einmal den Raum auf uns einwirken. Sofern Sie die Kirche innen noch nicht gesehen haben, sind Sie sicher überrascht und müssen sich erst zurechtfinden. Durch den Erweiterungsbau von 1933 ist der Altarraum nach Norden verlegt worden; der im Osten liegende Chor dient heute als Seitenkapelle.
Im Innern dieses Gotteshauses spiegelt sich, wie wir dies beim Rundgang um die Kirche auch erlebt haben, die Geschichte von Jahrhunderten. Wir wollen im Rahmen dieses Berichtes nur der "alten Handschuhsheimer Vituskirche" unsere Aufmerksamkeit schenken.
Die beiden Rundpfeiler mit ihren verstümmelten Kapitellen, vor denen wir stehen, stammen vermutlich noch aus romanischer Zeit und bildeten die Grenze zwischen Hauptschiff und südlichem Seitenschiff. Die etwas spitzen Bögen über den Pfeilern wurden bei einem Wiederaufbau oder Umbau in der Gotik nach der damaligen Bauweise gestaltet. Die Decke des Seitenschiffes war in romanischer Zeit tiefer; dies ist an den erst 1911 wiederentdeckten Fresken aus der Zeit um 1400 zu erkennen. Durch die in der Gotik eingesetzten Fenster wurden die Malereien leider teilweise stark zerstört. Sie stellen in zwei Streifen übereinander in feiner Ausgestaltung die Lebens- und Leidensgeschichte Jesu dar, von der Verkündigung an Maria bis zur Grablegung und dem jüngsten Gericht.
Die gut erhaltenen Heiligen-Darstellungen auf den Leibungen der zugemauerten romanischen Fenster, die erst 1961 freigelegt wurden, gehören zu den wertvollsten Kunstschätzen Handschuhsheims. Erkennen Sie die Heiligen an ihren Beigaben? Wendelin mit den Schafen, Jakobus mit dem Pilgerstab, die besonders reizvolle Apollonia mit dem Zahn in der Beißzange und Odilia mit der Augenbinde als Zeichen für ihre Blindheit.
In den alten Chorgelangen wir durch den prächtigen Triumphbogen, der noch von der dreischiffigen, romanischen Basilika aus der Zeit um 1050 stammt.
Der hohe Chor ist sonst aber ganz von der Gotik geprägt; ein feingegliedertes Netzrippengewölbe trägt das Dach. Zwei Wappensteine im Netzwerk deuten auf die Erbauer: der nördliche stellt das sechsspeichige Rad des Mainzer Domkapitels dar, der südliche, zwei goldene Querbalken auf blauem Grund, ist das Wappen des Mainzer Erzbischofs Uriel von Gemmingen († 1514).

Die Darstellungen in den zweiteiligen Maßwerkfenstern sind ein Meisterwerk aus neuer Zeit, von Valentin Feuerstein aus Neckarsteinach. Sie entsprechen sowohl in ihren Bildern als auch in ihren kräftigen, lebendigen Farben den Glasmalereien aus mittelalterlicher Zeit. Sie sollten es sich nicht entgehen lassen, die Fenster an einem sonnigen Sommermorgen - vielleicht nach einem Einkauf auf dem Hendsemer Markt - anzusehen, wenn die Sonne im Osten steht und die Farben richtig zum Leuchten bringt.

Besondere Kunstwerke sind die vier Doppelgrabdenkmäler der Edlen von Handschuhsheim, drei im alten Chor und eines im heutigen rechten Seitenschiff. Es ist nicht möglich sie in diesen kurzen Ausführungen über die alte Vituskirche gebührend zu würdigen. Ich will nur auf ein reizvolles Detail hinweisen. Dazu gehen wir zu dem ältesten Grabdenkmal, im Chor vorne an der Südseite. Auf diesem sind kniend mit Rosenkränzen in den betenden Händen in sehr feiner Art Dyther von Hentschuhsheim und seine Frau Margreth von Frankenstein dargestellt, Neben acht verschiedenen Wappen, elfmal um die knienden Personen verteilt, fällt zunächst ein Zeichen für die Handschuhsheimer Ritter gar nicht auf der "sitzende Hund zwischen Flügeln", eine Helmzierde der Handschuhsheimer Ritter. Auf dem Helm des Dyther von Hentschuhsheim sitzt ein besonders stolzer Hund mit Schlappohren zwischen groß aufgefächerten Flügeln mit vielen fein gegliederten Federn.
Nicht jeder Hund und nicht alle Federn auf den Grabdenkmälern der Kirche sind so ansehnlich. Aber nun entdecken Sie selbst weiter und urteilen Sie selbst! Ich konnte Ihnen nur Hinweise geben,

Dr. Werner Ball
Schrifttum.
E, Blaum, Die Kirche in H, und ihre Denkmäler, in. Neues Archiv für die Geschichte der Stadt Heidelberg 7 (1907) 1 - 31
A. v. Oechelhäuser, Die Kunstdenkmälerdes Großherzogtums Baden VII12 (1913) S.30-53
M, Schaab, Geschichte von Heidelberg-Handschuhsheim, in :Die Stadt- und Landkreise Heidelberg und Mannheim, Band II (1968) S. 96 ff
Dr. Renate Neumüllers-Klauser, Heidelberg- St. Vitus Schnell Kunstführer Nr.988 (1973)