Das alte Friedhofsgelände bei der Vituskirche in HD-Handschuhsheim

Dokumentation und Appell zur Erhaltung der Grabsteine

Dr. Peter Sinn

Bis 1843 lag der Handschuhsheimer Friedhof beiderseits der Vituskirche, die damals noch nicht erweitert und von beiden Konfessionen genutzt war. Seit der Verlegung blieben auf dem südlichen, ehemals katholischen Teil einige besondere Grabsteine erhalten, die heute, in einem kleinen Park mit schönem Baumbestand, trotz der Kirchgänger und anderer Passanten eher ein Schattendasein führen. Auch in der recht reichhaltigen Literatur über Handschuhsheim und die Vituskirche findet die Mehrzahl der Steine samt ihrer Inschriften keine Erwähnung, was wohl mit der Vielzahl an ungleich prächtigeren, gut beschriebenen Adelsgrabmälern in der Kirche zusammenhängt.

Eine ausführliche Beschreibung widmete allerdings Pfarrer E. J. J. MÜHLING (1840, S. 41-42) dem Grab seines unmittelbaren Amtsvorgängers und gibt gleichzeitig eine kleine Idee, wie der jetzt isoliert dastehende Stein noch wenige Jahre vor der Umsiedlung in den alten, engen Friedhof eingebettet war: ä In der Mitte des Friedhofes, umgeben von seinen geliebten Pfarrkindern. . . ruht dieser gute Hirt und ein schönes Denkmal der Liebe und Hochachtung bezeichnet seine Schlummerstätte. . ."

Auf der vorderen Seite des allegirten Monument's steht unter den priesterlichen Insignien die Inschrift:


FRANZ THEODOR
BRUNNER
DECAN UND PFARRER,
GEB, DEN 9TEN NOVEMBER 1759
GEST. DEN 3TEN FEB. 1828 -
WAR 40 JAHRE SEINER GEMEINDE
EIN WÜRDIGER PRIESTER
TREUER HIRT
UND WOHLTHAETHIGER VATER.
SEGEN RUHT AUF SEINEM ANDENKEN


Auf der anderen Seite sind die Embleme der Religion
Angebracht und unter denselben folgende Worte zu lesen :


COLLAUDABUNT MULTI
SAPIENTIAM EJUS
ET USQUE IN SOECULUM NON DELEBITUR,
NON RECEDET MEMORIA EJUS
ECCLES. 39, 12-13.

(Viele werden seine Weisheit preisen, und bis in Ewigkeit wird sie nicht vergehen noch das Gedenken an ihn aufhören Jesus Sirach, 12-13)

Aus der gleichen Zeit und, in seinem etwas pompösen Klassizismus, auch stilistisch zusammenpassend, stammt das viereckige Monument über dem Grab "des letzten Waisenhausschaffners" Carl Joseph Rottmann, Großvater des berühmten Malers Carl Rottmann, das deswegen auch schon von A. v. OECHELHAEUSER, (1913, S. 52) kurz gestreift wurde.

Die zentrale Inschrift lautet:
HIER RUHET IN GOTT
CARL FRANZ. JOSEPH ROTTMANN
GROSHERZ. BAD. GEISTL.
WAISENHAUSSCHAFFNER
GEBOREN AM 6. SEPT. 1755
GESTORBEN AM 29. OKT. 1822
ER SCHAUET, WAS ER GLAUBTE.
IOB XIX, 27

Auf den drei anderen Seiten wird, noch einwandfrei lesbar, später verstorbenen Mitgliedern der Familie gedacht.


Die übrigen drei Grabstätten "mit kleinen barocken Kreuzen" hat OECHELHAEUSER (1913, S. 52) in einer Skizze zusammengefaßt.

Diese Zeichnung läßt neben den Abmessungen gut die stilistischen Merkmale und auch das Alter der schönen Steine erkennen, wobei das Alter für das rechte Exemplar auf 1746 korrigiert werden mußte.

Das linke Grabkreuz (Nr. 3 auf dem eigenen Plan) wirkt mit seinen kantigen, wuchtigen Formen vergleichsweise archaisch, aber dennoch edel. Von der Beschriftung ist heute jedoch nur das INRI auf der Vorderseite erhalten. Die Rückseite, die offensichtlich einmal die Jahreszahl und sicher auch den Namen des bzw. der Bestatteten trug, ist total abgewittert, da die senkrecht angeordneten dünnen Schichten des übrigens bei allen Gräbern verwendeten roten Bundsandsteins vor allem gegenüber dem Spaltenfrost sehr anfällig sind.

Trotzdem ist bei den beiden übrigen Grabkreuzen noch das Wesentliche der Inschriften erhalten, wenn auch oft nur mit Mühe zu entziffern. Das bei OECHELHAEUSER mittlere Kreuz trägt sogar auf Vorder- und Rückseite ganz verschiedene Namen und hatte demnach zwei Familien als Besitzer. Es ist anzunehmen, daß bei der Enge des Friedhofs der Stein nach beiden Seiten genutzt wurde, zu mal die hier Bestatteten im gleichen Jahre verstorben sind. Auf der Südseite sehen und lesen wir:


ANNO 1716 DEN I. NOVE[MBER IST IN]
GOTT SELICH ENDSCHL[AFEN DER]
WOHL
ACHT
BARE
JOHANN
FRIEDRICH GROH
BVERGER VON NECK-
ERGEMIND WELCHER IM ANO [1636]
AUF DIE WELTGEBOHREN IST ALS [?]
EINES ALTERS 80 JAHR GOTT [GEBE?]
IHM EINE FRÖLICHE AUFERSTEHUNG
WELCHER. . .

Wahrscheinlich handelt es sich um den einzigen bei M. JORDAN (1988, S. 148) genannten GROH, der dort zwar Konrad mit zweitem Namen heißt und dessen Lebensdaten um ein Jahr differieren, der aber ebenfalls das damals seltene Alter von 80 Jahren erreicht hat. Wenn man offenbar sonst nichts über den Handschuhsheimer aus Neckargemünd weiß, so sei hier erwähnt, daß er als Bub noch die Schrecknisse des 30jährigen Krieges und als Mann über 50 dann die Greuel der Melac- Truppen miterlebt hat - so wie die heute über 80jährigen die zwei großen Kriege unseres Jahrhunderts erleiden mußten.

Auf der nach Norden zeigenden Seite des Grabsteins Nr. 4 ergibt sich folgendes Bild:


JHS
ALHIER LIGT BEGRABEN
DER WOHL EHRE[NWERTE?]
UND ACHT
BAHRE
HERR
JOHANN
FRIDRICH
KELLER SCHVLT
HEIS UND CENTSCHÖPFF
ALLHIER ZU HANDSCHUGSHEIM
WELCHER IN ANNO 1666 D. 16. DECEMBER
AUS. . . . . . . BOREN UND IN
. . . . . . . . DEN. . . . .
. . . . . . . . . . . OBERI . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .D . . . .

Johann Friedrich Keller war nach DERWEIN und JORDAN von 1704 bis 1716 Schultheiß und gleichzeitig Centschöffe, wie die Inschrift vermerkt. Er war also eine wichtige Handschuhsheimer Persönlichkeit und lebte vom 16. 12. 1666 bis zum 13. 10. 1716. Das genaue Sterbedatum, das auf dem Stein ganz der Verwitterung zum Opfer fiel, ist uns archivalisch überliefert, ebenso daß der Name Keller erstmals 1450 in Handschuhsheim registriert und die Familie nach knapp 400 Jahren verzogen ist.

Das wohl schönste und interessanteste der drei Barock Steinkreuze ist das dritte (Plan Nr. 5), unter dem Urahnen der heute noch zahlreich in Handschuhsheim lebenden Familie Walk ruhen:


(Der bittere Tod trennt die Liebe nicht)

QVISQVIS HANC VIAM LEGIS,
STA ET LEGE:
HIC UNA SUB CRUCE IACENT DUO
IOANNES CHRISTIANVS WALCK,
HVIATIS LOCI QVONDAM PRAETOR,
CVM MARIA EVA CONIVGE [SUA.]
ANNIS 60 ILLE, 50 ILLA VIVE[NTIS]
A.1746(DVE?].......
[DEVS] . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .

(Wer immer diesen Weg nimmt, bleibe stehen und lies: Hier unter dem einen Kreuz liegen zwei Johann Christian Walck, ehemals Schultheiß dieses Ortes, mit Maria Eva, seiner Gemahlin. Jener mit 60, jene mit 50 Lebensjahren im Jahre 1746 [beide?] [Gott] . . . . . .)

Bei der Ergänzung und Erläuterung käme man ohne die Arbeiten des in die Familie Walk eingeheirateten Handschuhsheimer Arztes und Heimatforschers MARTIN JORDAN nicht weiter. Außer auf das bereits zitierte Ortssippenbuch kann man auf eine Stammtafel mit Vorspann über die Walks im Handschuhsheimer Jahrbuch 1985 (S. 41-45) zurückgreifen. Erst dort erfährt man die Daten, in die sich die auf dem Grabstein erhaltenen Zahlen einpassen lassen.

Johann oder Hans Christian Wal(c)k lebte von 1686 bis 1746, wurde also 60 Jahre alt. Seine Ehefrau Maria Eva, mit Mädchennamen Schwab und aus Miltenberg stammend, lebte 1695-1745. Die Jahreszahl 1746 (nicht 1716!) läßt sich nur bei ganz genauem Hinsehen bzw. "Befühlen" (Frau Prof. Neumüllers-Klauser) feststellen.


Stammtafel der Familie Walck (Auszug)

Das Schultheißenamt, das sein Vater Johann (Hans) Peter Walk 14 Jahre in schwierigster Nachkriegszeit, nämlich 1690-1704, innehatte und das dann Friedrich Keller übernahm, konnte Hans Christian als späterer Nachfolger nur ganz kurz ausüben. Er starb wenige Wochen nach seiner Ernennung. Dieser jähe Tod und das nur wenige Monate davor liegende Sterbedatum seiner doch relativ jungen Frau erklären vielleicht die recht persönlich, nicht nur christlich anmutende Inschrift direkt in der Kreuzesmitte.
Gegenüber der Datierung von OECHELHAEUSER ist das Kreuz jetzt allerdings 30 Jahre jünger einzustufen und entsprechend gegenüber dem Keller-Grabstein mit der Jahreszahl 1716. Der Barock hat sich verfeinert: der gefühlsbetonte Spruch, die lateinische Beschriftung und vor allem die viel elegantere Bearbeitung des Steines weisen darauf hin.
Solche barocken Grabkreuze scheinen den damaligen Schultheißen vorbehalten gewesen zu sein. Sie zeugen von Selbstbewußtsein, Wohlstand und Ansehen. Die Ortsvorsteher waren nicht gewählt, sondern vom Kurfürsten als eine Art Beamte eingesetzt, die hauptsächlich die örtliche Steuer einzutreiben hatten und dabei offensichtlich selbst nicht zu kurz kamen. Bei der Einsetzung spielte selbstverständlich auch die Konfession eine Rolle: Die Walk und Keller waren wie die damaligen Kurfürsten katholisch (trotz eindeutiger protestantischer Bevölkerungsmehrheit nach DERWEIN, S. 244).
Es ist wohl kein Zufall, daß gerade die Grabsteine der Schultheiße neben denen der geistlichen Herren von dem alten Friedhofsteil übrig geblieben bzw. bis heute erhalten sind. Wie die Fotos zeigen, ist jedoch der Erhaltungszustand gerade dieser "bürgerlichen" Grabmäler, zumal sie älter sind, inzwischen sehr schlecht geworden. Was man jetzt noch mit Mühe entziffern kann - immerhin noch die Namen und die Jahreszahlen -, wird in absehbarer Zeit ganz verblassen oder abbrökkeln, wenn nicht gar ganze Partien der Steinkreuze infolge der unversiegelten senkrechten Gesteinsschichtung ausbrechen, was bereits im nächsten Winter bei häufigerem Frostwechsel passieren kann. Man kann die Verwitterungsschäden nicht mehr rückgängig machen, aber man sollte sie abbremsen bzw. verlangsamen, damit auch die nächste Generation sich noch aus erster Hand über den alten Friedhof mit den Gräbern der Vorfahren informieren kann. In allen Gemeinden lagen die Friedhöfe ursprünglich um die Kirchen ( "Kirchhof" ).Nur ganz selten sind davon so wertvolle Zeugnisse zu sehen wie in Handschuhsheim. Von hohem geschichtlichen und künstlerischen Rang ist dieses Ensemble weithin einmalig.
Sicher hat man es bis jetzt etwas übersehen, links liegen lassen, weil in der Kirche drinnen viel prächtigere, historisch und künstlerisch viel bedeutsamere Grab-Monumente zu bewundern und zu erhalten sind. Im Interesse der Vituskirche und des Stadtteils wäre es aber, zu erkennen, daß das alte Friedhofstück zur Gesamtanlage fest dazu gehört und diese bereichert. Und schließlich stehen die relativ kleinen "bürgerlichen" Grabsteine auch unter Denkmalschutz.



Literatur: DERWEIN, H. (1933): Handschuhsheim und seine Geschichte.
JORDAN, M. (1985): Die Familie Walk in Handschuhsheim. ( In: Jahrbuch zur Hendsemer Kerwe, S. 41-45.
JORDAN M. (1988): Die Handschuhsheimer vor 1900 Ortssippenbuch Heidelberg-Handschuhsheim. - Verlag Guderjahn
MÜHLING, E.J.J. (1840): Historische und topographische Denkwürdigkeiten von Handschuhsheim; ein Beitrag zu dessen Geschichte von seiner Erbauung an bis auf unsere Tage (Nachdruck 1982 d. Statteilvereins)
NEUMÜLLERS-KLAUSER R. (1970: Die Inschriften der Stadt und des Landkreises Heidelberg (bis 1650) - Verlag Druckenmüller Stuttgart
OECHELHAEUSER, A. v. (1913): Die Kunstdenkmäler des Amtsbezirks Heidelberg.


Herzlichen Dank an Frau Prof. Dr. RENATE NEUMÜLLERS-KLAUSER, die als hochrangige Expertin sich besonders liebevoll den ihr von zu Hause aus wohlbekannten Grabsteinen zuwandte und spontan vor Ort einige wichtige Details zu entziffern half. EUGEN HOLL stand wiederum selbstlos und hilfsbereit mit Rat und Tat zur Seite!



LAGESKIZZE DES ALTEN FRIEDHOFSGELÄNDES BEI DER ST. VITUSKIRCHE

GRABSTEINE
1    Pfr. BRUNNER
2    ROTTMANN
3    (unbekannt)
4    GROH/KELLER
5    WALK
6a-c Mittelalterl. Grabplatten (urspro) In der Kirche; vgl. dazu NEUMÜLLERS-KLAUSERS 1970, S. 32 u. 37.5)
7    Gefallenen-Kreuz