Der Atzelhof - Lorscher Hof- Waisenhaus

Südlich und westlich der kath. Kirche St. Vitus breitete sich schon im Mittelalter- als Besitztum des gleichnamigen Klosters - der Lorscher Hof aus. Mit seinen Stallungen, Scheunen und Vorratsräumen bildete er den wirtschaftlichen Mittelpunkt für alle Besitzungen, die zum Kloster Lorsch gehörten.

Hierher hatten die Zinsbauern der Handschuhsheimer Gemarkung ihre Pachtabgaben - Getreide, Wein, Geflügel etc. abzuliefern. Laienbrüder versahen das Amt des Klosterschaffners. Manchmal wurde Pröbsten der Lorscher Hof als Altenteil zugewiesen. Vor 1454 hielt der Probst zu Lorsch hier auch Gericht über seine Zinsbauern.
Entweder wurde der Lorscher Hof wegen des damaligen Zenteinzugs nach der diebischen Elster "Atzelhof" genannt- oder man gab ihm den Namen nach den vielen Atzeln (Elstern), die dort auf hohen Pappelbäumen nisteten.

Zu diesem Hof gehörte auch die St. Annakapelle, der der Kapellenweg seinen Namen verdankt.

In der Reformationszeit, in der fast alle Kirchengüter der Pfalz eingezogen wurden, sollte der Besitz in seiner Gesamtheit einer neuen Bestimmung zugeführt werden. 1575 wurde daher das Landeswaisenhaus der Pfalz darin untergebracht.

So hatten die Gebäude jetzt einen doppelten Zweck - Waisenhaus und Zenthof. Der Name "Lorscher Hof" lief noch lange dem der Waisenschaffnei parallel.

Die Waisenhausordnung vom 15. April 1588 ist noch vorhanden. Sie läßt uns einen Blick tun in den Geist und in die Absichten -aus denen heraus die Anstalt gegründet worden war. Danach bestand von vornherein der Wille, nicht nur den Kindern eine gute Erziehung zu sichern, sondern ihnen auch den Weg ins Leben zu ebnen.

Streng und gerecht sollte die Disziplin sein. Ohne besondere Erlaubnis durfte z. B. keiner das Haus verlassen, oder ein Fremder sich in ihm aufhalten.

Gottesfurcht der Jugend einzuflößen, war oberstes Gesetz.

Die Knaben lebten unter dem unverheirateten Kindervater, die Mädchen unter der Kindermutter (eine Witwe). Während die Knaben die Handschuhsheimer Dorfschule besuchten, wurden die Mädchen schon recht früh im Spinnen, Nähen, in Haus- und Feldarbeiten unterwiesen.

Den wirtschaftlichen Teil besorgte der Waisenschaffner mit seiner Frau, der nächst dem Adel und dem Pfarrer die angesehenste Persönlichkeit im ganzen Dorfe war. Nur der Schaffner durfte die Kinder züchtigen, er war zugleich Erzieher.

Noch weit über die Kinderzeit hinaus hielt das Waisenhaus die schützende Hand über seine Zöglinge. Im übrigen wurde die Wirtschaftsförderung von den Fürsten streng überwacht.


Die Stürme des 30jährigen Krieges, die auch über die Pfalz brausten, suchten das Waisenhaus schwer heim. Scheunen und Ställe wurden eingeäschert, Wohnräume ruiniert. Die Menschen konnten keine Abgaben mehr ins Waisenhaus bringen, weil sie selbst nichts mehr hatten.

Unter Karl Ludwigs Herrschaft um 1653 hat man versucht, das Haus wieder aufzubauen, aber es gelang nur zum Teil. Die schönen und kostbaren Kellergewölbe z. B. verrotteten mehr und mehr.

Nachdem die sogenannte Schaffnei beim ersten Einbruch der Franzosen unter Turenne 1674 wiederum durch Brand verheert worden war, konnte man erst 1685 wieder das Hauptgebäude "unter Dach" bringen. Davon berichtete noch lange der Schlußstein des Hauses, das erst 1906 abgerissen wurde.

Bald aber brach neues Unglück über Handschuhsheim herein. 1689 wurde der Ort von den Scharen Mèlacs so gut wie vollständig vernichtet und ausgebrannt - nur das Pfarrhaus, die Kirche und das Waisenhaus blieben stehen.

Die Kinder versteckten sich in den Kellern, übernachteten in den Wäldern, aßen aus Hunger Schnee und flüchteten nach Schönau. (Mhm. Geschichtsblatt 1913, S.118)

Das Waisenhaus selbst wurde von den Franzosen völlig ausgeplündert.

Daß später der altehrwürdigen Stiftung endgültig der Lebensatem ausging, war die Schuld der konfessionellen Streitigkeiten. Unter dem Bergsträßler Rezeß von 1650 war den Handschuhsheimer Katholiken Gleichberechtigung zugesichert worden, aber die Kinder im Waisenhaus blieben "Reformierte"! Von 1698 an beanspruchten die Katholiken wieder den Mitbesitz von Pfarreien und Schulen. Von nun an wurde darüber gestritten, welche Kinder welcher Konfessionen im Waisenhaus von welcher Kirche unterstützt und unterhalten werden sollten. - Den heute naheliegenden Ausweg, im Waisenhaus Kinder beider Konfessionen nebeneinander zu erziehen, konnte jene Zeit überhaupt nicht ins Auge fassen.
Nach 1716 nahm das Waisenhaus keine Kinder mehr auf, aber die Renten und Waisenhausgehälter wurden weiter ausbezahlt. - Es ist bekannt, wie korrupt das Kurpfälzer Beamtentum im 18. Jh. weithin war.

Mehrfach versuchte die Regierung die Anstalt ihrer ursprünglichen Bestimmung wieder zuzuführen, aber nach dem Tode Karl Theodors von 1798 entschloß man sich, 1813 die Waisenschaffnerei ganz aufzuheben.

Rechtsnachfolgerin wurde die evangelische Pflege Schönau. Die Gebäude mit dem zugehörigen Garten - etwa 7 Morgen Land - gingen in Privatbesitz über (z. B. in die Hand des vorletzten Bürgermeisters von Handschuhsheim namens Schröder). 1906 mußten die Hauptgebäude der Mittelstraße nach Heidelberg, der heutigen Steubenstraße und der Rottmannstraße weichen.

Einer der letzten Waisenschaffner war übrigens Franz Joseph Rottmann, der Großvater des Malers. Dieser Franz J. Rottmann war seit 1783 auch der Besitzer des Handschuhsheimer Schlößchens. Die auf dem Gelände des Lorscher Hofs 1906 errichteten Gebäude sind heute Privatbesitz und tragen nach wie vor den Namen "Atzelhof".
Die Kinder des Atzelhofs und der gegenüberliegenden Gagfahhäuser spielten in den dreißiger und vierziger Jahren oft "Zentbauer im Lorscher Hof" oder Kriegerles zwischen Gagfahlern und Atzelhöflern.

Davon zu erzählen und was aus diesen Jugendlichen später geworden ist- wäre eine extra Geschichte aus Handschuhsheim!

Altstadträtin Ingeborg Pfitzenmaier
(nach Derwein, Zähringer und Reimold)